Konzertreise an den Bodensee 2010

(von David Scheuing)

 

Warum sich Kässpätzle und singen nicht gut vertragen, unser Busfahrer mindestens 4 Leben gehabt haben muss, es im September noch Sommer ist und „Konschdanz“ so bekannt ist.

Tag 1: 30. August 2010 – Überlingen

Eine Reise in den Süden stand auf unserem diesjährigen Sommerplan: der Bodensee sollte unser Ziel werden. Unser Sommerkonzertprogramm stand – immerhin hatten wir lange genug daran geprobt. Knut Nystedts „Missa brevis“ im Zentrum, darum ein Rahmen aus romantischen und frühbarocken Madrigalen und Liedern. Unsere Konzerte in der Stadtkirche und in Oberweimar waren gut gelaufen und hatten Ines eine erfolgreiche Vordiplomprüfung beschert. Die Semesterferien hatten begonnen und die meisten Hausarbeiten waren geschrieben. Es konnte also losgehen, wir waren bereit.

Als Ines im vergangenen Winter 2009 die Losung ausgab, wir sollten alle mal „bei unseren Bekannten und Verwandten“ oder in unseren Gedächtnissen kramen, ob wir jemanden am Bodensee kennen, über den ein Konzertort zu ergattern wäre, war niemandem bewusst, was für eine Herausforderung dies werden würde. Erst gefühlt eine Woche vor Abreise war dann auch der letzte Konzertort hinzugekommen. Lange zögerten sich Antworten hinaus, lange war unsicher, ob die Fahrt stattfinden würde, aber endlich, Ende Juli, war sicher, dass wir auf alle Fälle fahren würden. Dass noch zwei oder drei Konzertorte ausstanden, von denen wir keine Rückmeldung hatten, musste egal sein. Wir würden fahren. Und wir fuhren.

Gut, dass wir fuhren! Und so belohnte uns auch das Wetter und überhaupt eigentlich auch das Leben für diese unerhörte Frechheit, einfach zu entscheiden zu fahren, reichlich! Die Woche, die wir in der Jugendherberge in Überlingen verbrachten, war sonnig und warm. Alle wurden sofort zum See gerissen, kaum gab sich dazu die Möglichkeit. Es war also Urlaub – mit ein bisschen Arbeit.

Sechs Personen hintereinander, Imperia-Statue in Kontanz imitierend, sehen aus wie vielarmige indische Gottheit

Vielköpfige und vielarmige indische Gottheit – oder doch nur eine Imitation der Imperia?

Tag 2: 31. August 2010 – Konstanz

Unser erstes Konzert fand am Dienstagabend in Konstanz statt – oder „Konschdanz“, wie die Ureinwohner sagen ein Wort, das nun wohl auf ewig in den Wortschatz aller Mitreisenden eingebrannt ist – und es hatten sich leider nur wenige Menschen zu unserem Konzert versammelt. Doch hinderte uns das nicht daran, wunderschön zu singen und ebenso ausgelassen und fröhlich zu sein wie vorher. Allerdings gab es einen Dämpfer der allgemeinen Stimmung: zur Stellprobe war der Hälfte eher nicht nach Singen – blauäugig hatten sie sich gut gemeinten Ratschlägen widersetzt und fettige und käsige Kässpätzle in Riesenportionen verdrückt und nun rauschte das Blut, um dem Magen verdauen zu helfen. Man merke sich: Iss nicht Spätzle vor dem Singen, will es gar sonst nicht gelingen!

Ines intensivierte infolge einiger „Schwachstellen“ kurzerhand das Probenpensum, was allen Beteiligten, die Chorleiterin inklusive, eine bis zwei Stunden „Brutzelsonne“ im Tagesplan strich, aber alle haben diese Rationalisierungsmaßnahme wohl gut überstanden, denn braun bzw. rotgebrannte Gesichter gab es am Ende der Woche trotzdem genügend.

Blick vom Karren in Richtung schweizerische Alpen

Da hinten ist schon die Schweiz

Tag 3: 1. September 2010 – Dornbirn

Am Mittwoch fand unser Konzert in Dornbirn in Österreich statt, ein Umstand, der uns näher an die Berge brachte, was bedeutete, dass eben letztere auch bestiegen sein wollten: der Karren. Vor uns lagen 500 Höhenmeter und ein grandioser Ausblick auf den Bodensee, von Süden her. Die Aufstiegsgeschichten bleiben beim Bodensee, die Geschichte mit der Gondel muss an anderer Stelle erzählt werden.

Das Konzert war – hallig. Aber auch gut. In gnadenloser und wahnsinniger Akustik sangen wir in der Kirche in Dornbirn und bewunderten das wohl luxuriöseste Gemeindehaus aller Zeiten. Ein Abend der Superlative – die superhalligste Akustik, das superneueste Gemeindehaus, die superkleinste Innenstadt, der superlaueste Abend, die superteuerste Speisekarte. Diese Liste ließe sich ewig fortsetzen. Da unser Busfahrer Philipp nun auch die leichten Schäden an seiner Mautbox repariert hatte, konnten wir ohne Gepiepse die Rückfahrt in die Juhe antreten.

Der Autor dieses Textes (und mit ihm im Laufe der Fahrt noch einige Leidensgenossen) durfte sich die fünfunddreißigste Anekdote aus seinem Leben anhören – es muss aber auch zugegeben werden, dass das ursprüngliche Interesse auf Seiten des Autors lag, aber ein Leben, das einen Einsatz für die Russen in Afghanistan in den 80ern, eine abenteuerliche Flucht in die DDR, einen Einbürgerungsprozess, ungefähr zehn Ausbildungen vom Koch bis zum Busfahrer, eine reiche Familiengeschichte und noch vieles, vieles, vieles mehr enthielt, war einfach zu spannend, um nicht gehört zu werden, allerdings nicht nachts um halb elf. Nur irgendwann schlich sich der Gedanke ein, dass man für ein solches Leben eigentlich 4 davon bräuchte, aber offensichtlich hatten wir hier den lebenden Beweis, dass nicht.

Tag 4: 2. September 2010 – Scheidegg

Unsere abenteuerlichste Fahrt mit diesem Reisebus, dessen liebenswürdige Klapperigkeit uns sicherlich auch unvergesslich bleiben wird, war wohl eindeutig die nach Scheidegg im Allgäu am Donnerstag. Hoch hinauf ging es in Serpentinen, in denen der Bus anderen Autos gut und gerne 4 m auf deren Spur entgegenkam und unser Busfahrer eifrig hupte, was den Stress bei unserem Gegenverkehr sicherlich nicht erheblich minderte. Allerdings war es eine lohnende Quälerei den Berg hinauf, denn oben angekommen wartete der etwas verschlafene Kurort Scheidegg auf uns. Eine engagierte Pfarrerin war sogleich zur Stelle – geradelt gekommen und war schon hellauf von uns begeistert, bevor wir auch nur den Mund aufgemacht hatten. Vor dem Konzert genossen alle an den unterschiedlichsten Orten die Spätnachmittagssonne, es war ein herrliches Bad, eine ruhige Zeit. Bis Erna mit ihrem Bert die Wiese mähte – aber auch das will getan sein. Das bis dahin kleinste Konzert dieser Reise war zugleich eines der am besten besuchten, das Publikum ließ sich mitreißen oder sang gar selber mit und nur die schallisolierten Wände verhinderten rauschenden Applaus am Ende. Ganz am Ende dieses schönen Tages standen drei bemerkenswerte Ereignisse: 1. wurden wir für Silvester erneut eingeladen, um ein Festkonzert zu gestalten, 2. packte Busfahrer Philipp in die tiefste musikalische Radiokiste – ein angenehm schrecklicher Kontrast zu unserem Konzert – und begeisterte alle, die schlafen wollten, mit Lärm und den Rest mit Après-Ski-Musik und 3. mussten wir kurz vor der Juhe nochmal kurz halten, weil irgendeine Sicherung rausflog: nur gut, dass Philipp mal Maschinist war (s.o.). Ausklingen ließen wir den Tag mit einem schon zur Tradition dieser Fahrt gewordenen „Good Night Sweetheart“ an den Bus.

Tag 5: 3. September 2010 – Meersburg, Mainau, Friedrichshafen, Radltour

Gruppenfoto mit Fahrrädern vor Fachwerkhaus, einige Personen Äpfel essend

Nicht im Bild: die 5 Liter Apfelwein, die es zu den Äpfeln dazu gab

Der Freitag war nun endlich unser freier Ausflugstag – und nach dem „Ausschlafen“ waren wir alle vom Überangebot der Ausflugsmöglichkeiten dermaßen überfordert, dass das Frühstück ausgiebig wurde. Über den Rest des Tages kann eigentlich nur in Bildern (siehe Galerie) gesprochen werden, da nicht alle überall dabei waren, aber es muss wohl ein schöner Tag gewesen sein, den roten und glücklichen, sonnengebadeten und geschwommenen Gesichtern nach zu schließen. Errungenschaft des Tages: ein einzig mit Musik erworbenes, spezielles süddeutsches Getränk aus Äpfeln im 5-Liter-Spritzmittel-Kanister. Dieser volle und wunderschöne Tag (sie wurden schöner und schöner gegen Ende) klang bei sternenklarer und lauer Nacht auf einem Ponton am See aus.

Tag 6: 4. September 2010 – Meckenbeuren

Am Samstag waren wir zu Gast in Meckenbeuren, jenem bekannten Ort aus dem Kinderlied „Auf d’r schwäbsche’ Eisebahne“. Die Bahn fanden wir zwar nicht, dafür aber zumindest ein Denkmal und ansonsten: unsere schöne Auftrittskirche für diesen Abend. Wer müde war, hielt vor dem Konzert ein Schläfchen im Gras, die Fitten lasen oder waren gar bereit, den Ort zu erkunden. Das Konzert war ein sehr gut besuchtes und auch musikalisch gelungenes (dem langen Applaus , den lachenden Gesichtern und den immer wiederkehrenden Ansätzen, mitsingen zu wollen, nach zu schließen), nur leider mussten wir schnell nach Hause, denn am Sonntag mussten wir schon um sechs Uhr auf der Straße sein. So ging dieser Abend schnell zuende und nur ein leises „Good Night“ war heute zu vernehmen. Schade, dass dieses Konzert nur wenig nachwirkte, denn es war wirklich gelungen.

Tag 7: 5. September 2010 – Ulm und Görisried

Nun nahte der absolute Höhepunkt: der letzte Tag, die letzten beiden Konzerte, das größte und das emotionalste Konzert, ca. 300 km Fahrt und überhaupt: aller Abschied fällt schwer.

Wir waren um halb neun Uhr morgens zum Festgottesdienst im Ulmer Münster angemeldet, ein Umstand, der uns schon um sechs Uhr aus den Betten und in den Bus trieb. Den Sonnenaufgang und die herrlich vernebelten Donau- und Illerniederungen verschliefen die meisten, aber das Panorama Ulms mit Münster verpasste keiner. Das Münster war voll. 500 Menschen werden es wohl gewesen sein, so viele Zuhörer hatten wir in allen Konzerten zusammen nicht, aber wir waren auch nur Teil des Gottesdienstes. Es war die Auftaktveranstaltung der Donau-Friedenswelle, einer Aktion im Rahmen der internationalen Dekade des Friedens, die die Kirchen auf der Welt 2000 ins Leben gerufen hatten. Und wir durften dabei sein. Die Akustik und unsere erstaunlich frischen Stimmen vermochten die Zuhörer zu verzaubern und uns in unserem Können bestärken, für die Presse erschienen wir gegen die ebenso auftretende bulgarische Folkloretanzgruppe leider etwas blass und nicht weiter erwähnenswert. Immerhin tragen wir den Gedanken an das Konzert gern in uns.

Ein Kälbchen namens Stucho

Wenige Tage vor unserem Besuch geboren, durften wir uns einen Namen für dieses Kälbchen ausdenken. Weil er mit “S” beginnen musste, fiel uns nichts besseres ein als “Studentenchor”, kurz “Stucho”.

Nach einem gemeinsamen (!!) Mittagessen (und einer weiteren Lektion in Sachen „Schwaben hauen ordentlich rein, da kann der Tourist in nichts nachstehen“) und der danach notwendigen Bewegung gegen den übervollen Bauch, musste die kurze Stadtführung alsbald schon zum Bus. Die Weiterfahrt nach Görisried, der letzte Konzertort, der Kuchen stand schon bereit und alle mussten erstmal schlafen. Als die Straßen wieder enger wurden und wir beinahe ein Haus und einen Traktor von der Straße gefegt hatten, waren auch alle wieder wach genug, um zu realisieren, dass die herrliche Landschaft der sanften Hügel des Allgäu einen wunderschönen Nachmittag versprechen würden. Der Kuchen und Ines’ Familie warteten schon und unsere Bäuche knurrten aus welch perverser Logik auch immer heraus tatsächlich schon wieder. Dieser Nachmittag voller Ruhe, Katzen und Kühen (!!) war wohl der gemütlichste, aber auch wichtigste dieser Sommerreise. Und am Abend: das letzte Konzert, die finale Aufnahme, ein Chorstreich, eine volle Kirche voller Bekannter und eine wohlwollende Presse. Ines’ Familie hatte den halben Ort begeistern können und alle diese Menschen wurden nicht enttäuscht. Die Rückfahrt war lang, laut, tanzig, heiß und überhaupt die letzte gemeinsame Abend-nach-einem-Konzert-Party-Fahrt. Es war was los. Doch zwei Wehmutstropfen blieben: Anna war zum letzten Mal bei einem Konzert dabei, es war Zeit Abschied zu nehmen, er kam schneller als erwartet und war traurig genug. Mehr muss nicht gesagt werden. Und schlussendlich ging unsere wunderschöne Fahrt an den Bodensee mit einem reichen Gepäck aus Gedanken, Souvenirs, Musik, Aufnahmen und Sonne zuende. Mit einer Busfahrt, wie sie schon angefangen hatte. Und es war gut so.

Gruppenfotos des Chors, Personen bilden einzeln oder in Gruppen die Buchstaben des Wortes "Studentenchor"

Mehr Bilder gibt es hier.